Andrea Arezina war einer der smarten Köpfe hinter dem USR3-Referendum und hat das Bildungsprojekt Campaign Bootcamp Switzerland mitaufgebaut. Im Interview erzählt die Co-Kampagnenleiterin der SP, welche Rolle Widmer-Schlumpf im Abstimmungskampf spielte, was die Schwächen der Gegenseite waren und wie die eigene Basis mobilisiert werden konnte.
Interview: Daniel Graf
Andrea, hast du geglaubt, das USR3-Referendum gegen den Bundesrat, das Parlament und die Wirtschaftsverbände zu gewinnen?
Andrea Arezina: Als Campaignerin möchte ich immer gewinnen. Diese Einstellung ist entscheidend, um Menschen zu mobilisieren. Im Fall der Unternehmenssteuerreform habe von Anfang daran geglaubt, dass der Sieg in Reichweite liegt.
Die Befürworter investierten Millionen, ihr hattet einen Bruchteil davon in der Kampfkasse. Was war eure Strategie?
Ich bin es mir gewohnt, mit kleinem Budget zu arbeiten. Wir können nicht das letzte Dorf mit Plakaten zupflastern. Die Frage war, ob es uns gelingt die Konsequenzen der Vorlage aufzeigen. Konkret: Die Ausfälle von 3 Milliarden werden entweder durch Steuererhöhungen bei Privatpersonen finanziert werden müssen oder durch einen Abbau in der Bildung, bei der Gesundheit oder bei der Sicherheit.
Gelang es bei der USR3, die Basis zu mobilisieren?
Ich habe nie erlebt, dass sich so viele unterschiedliche Leute engagiert haben. Auch wenn die Mobilisierung im Vergleich zu Durchsetzungsinitiative etwas schwächer war.
Mir ist das professionelle Online-Fundraising aufgefallen. Wie viel Spenden habt ihr über diesen Kanal erhalten?
Die Auswertung fehlt noch. Ich rechne mit rund einem Drittel der Gesamtspenden. Die meisten gaben kleinere Beträge um 50 Franken.
Die Kampagne setzte auf den etwas abgegriffenen Begriff «Milliarden-Bschiss», der bereits von vielen Kampagnen verwendet wurde.
Im Fall der Unternehmenssteuerreform trifft es den wunden Punkt. Die Befürworter haben sich gewunden, konkrete Zahlen zu liefern. Die Bürger*innen wurden an der Nase herum geführt. Das Täuschungsmanöver des Bundesrates hat System. Darauf hat die eidgenössische Finanzkontrolle kurz vor der USR3-Abstimmung hingewiesen.
Ein Schlüsselwort war der «Mittelstand». Das ist kaum ein Begriff der mit linker Politik assoziiert wird, oder?
Die Kampagne zielte auf die Mehrheit der Stimmberechtigten. Das ist inhatlich auch richtig: es wären die Bürger/innen gewesen, welche die Milliardenausfälle bezahlen müssten.
Der Start der Nein-Kampagne verlief harzig. Mit der Basler Regierungsrätin Eva Herzog stand eine prominente SP-Politikerin im Gegenlager. War es klug, sie frontal anzugreifen?
Exekutivpolitiker*innen spielen in Abstimmungen eine besondere Rolle. Für die Nein-Kampagne war es wichtig, sich klar zu positionieren. Die Parolenfassung der SP Basel Stadt hat aufgezeigt, wie die Basis denkt.
Viele Beobachter*innen sahen im Auftritt von alt Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf den Wendepunkt. Wie siehst du das?
Die GfS-Umfragen zeigten, dass wir vorher Terrain gutgemacht haben. Widmer-Schlumpf war, so gesehen, ein Seismograph, der die Grundstimmung der Bevölkerung reflektiert und verstärkt hat. Die Berichterstattung hat sicher dazu geführt, dass das Nein-Lager an Momentum gewonnen hat.
Hand aufs Herz: Hast du gewusst, dass sich Widmer-Schlumpf im Blick zu USR3 äussern wird?
An diesem Morgen war ich genauso überrumpelt wie die Befürworter. Keine Überraschung war für mich hingegen, dass sich Evelyne Widmer-Schlumpf zur Vorlage kritisch äusserte. Ich finde es stark, dass sie auf die Schwächen hinwies und Klartext redete.
Was war der Effekt der Intervention?
Viele bürgerliche Politiker*innen, welche gegen die USR3 waren, wagten sich aus der Deckung. Zuvor war der Druck seitens der FDP und SVP enorm hoch gewesen. Nur wenige hatten den Mut, sich in einem bürgerlichen Nein-Komitees zu engagieren.
Die Antwort blieb nicht aus. Widmer-Schlumpf wurde als «Verräterin» beschimpft.
Die Reaktion der SVP spricht für sich. Ich bin sicher, dass Evelyne Widmer-Schlumpf mehr einstecken musste, weil sie eine Frau ist…
Der einzige Fauxpas der Befürworter?
Ein Bumerang war die Abstimmungszeitung des Gewerbeverbandes. Darin wurden die SP-Ständerät*innen Pascale Bruderer, Claude Janiak und Hans Stöckli als Befürworter*innen der Reform dargestellt, obschon sie dagegen waren. Solche Fake News zahlen sich nicht aus, gerade wenn die Medien kritisch darüber berichten.
Was waren die Erfolgsfaktoren der Nein-Kampagne?
Unsere Botschaft war einfach, verständlich und hat sich während der Kampagne nie geändert: «Grossaktionäre profitieren, wir bezahlen.»
Augenfällig war, dass ihr die Kommunikation regional angepasst habt.
Vermutlich haben wir gewonnen, weil wir aufgezeigt haben, was die Konsequenzen vor Ort sind. Einige Kantone wie Zürich, Bern, Thurgau oder Baselland lieferten Daten, was die Unternehmenssteuerreform für den Kantonshaushalt bedeuten könnte. Daraus haben wir sehr konservativ die möglichen Steuererhöhungen ausgerechnet und starteten regionale Plakatkampagnen.
Habt ihr neue Kampagnenideen ausprobiert?
Die USR3-Kampagne war kein Experiment. Wir haben viele Elemente aus vergangenen Kampagnen kombiniert, von denen wir wussten: Das funktioniert. Ein Beispiel waren in der Schlussphase etwa die Nachbarschaftsbriefe. Alle konnte einen solchen Brief herunterladen und im Quartier verteilen, was tausendfach gemacht wurde.
Was für Lehren ziehst du für zukünftige, linke Kampagnen?
Wer erfolgreich sei will, muss den Mut haben, die Argumente von Anfang bis Ende durchzuziehen. So kann es gelingen, Schritt für Schritt an Momentum zu gewinnen und immer mehr Leute zu aktivieren. Das ist unser Kapital. Die Gegnerschaft wird immer viel mehr Geld für Versände, Plakate und Inserate haben.
Die Abstimmung liegt hinter dir. Was kommt als nächstes?
Ich gehe in die Ferien. Danach freue ich mich auf die nächste Kampagne!